2. September 2025

Vielleicht ist dein Kind einfach ein Pinguin

by lilly

Gedanken einer Mama & Lehrerin


Gestern, als nach den Ferien wieder der erste Schultag anstand, kam sie mir in den Kopf – diese besondere Geschichte vom Pinguin, erzählt von Eckart von Hirschhausen.

„Auf dem Trockenen sieht der Pinguin unbeholfen aus …“

Hirschhausen beschreibt, wie er im Zoo diesen seltsamen Vogel betrachtet: tapsig, unbeweglich, irgendwie falsch konstruiert. Doch dann sieht er, wie derselbe Pinguin ins Wasser gleitet – plötzlich voller Eleganz, Kraft, Zielstrebigkeit. Kein „Versager“, sondern perfekt in seinem Element.

Als Mama und Lehrerin denke ich oft an dieses Bild. Wie oft stehen Kinder und Jugendliche auf dem Trockenen? Vielleicht wirkt es im Schulalltag manchmal so, als würden sie nicht mithalten können, nicht ins System passen. Sie träumen, fragen zu viel, malen lieber als zu rechnen oder brauchen länger für Dinge, die anderen scheinbar mühelos gelingen. Jugendliche, die ihre Stärken im Handwerklichen zeigen, über das Leben philosophieren, Regeln hinterfragen oder kreativ Videos, Bilder oder Musik gestalten – statt Formeln und Vokabeln zu pauken.

Wie oft beurteilen wir Kinder und Jugendliche in einer Umgebung, die ihnen gar nicht entspricht?

  • In der Schule – mit Tests, Noten, Normen.
  • Zuhause – mit Erwartungen, Regeln, Vergleichen.
  • In der Gesellschaft – mit Lautstärke, Tempo, Druck.

Unsere und ihre Aufgabe? Das Wasser finden.

Wir sollten aufhören, an den Flügeln zu zupfen. Aufhören, Kinder anzupassen – und anfangen, Becken zu bauen.

Das heißt:

  • Räume schaffen, in denen Kinder ihre Stärken zeigen dürfen.
  • Zeit geben, statt Tempo zu machen.
  • Zuhören, bevor wir bewerten.
  • Und vor allem: Annehmen. Mit allem, was nicht in die Norm passt – das vielleicht aber genau das ist, was unsere Welt so dringend braucht.

Denn nicht jedes Kind ist für die Lüfte gemacht. Manche sind geboren fürs Wasser.

Und wenn wir das erkennen, dann sehen wir plötzlich nicht mehr das Unangepasste – sondern das Wunderbare, das Außergewöhnliche.

Meine Achterbahn der Gefühle als Mama

Als Mama einer 11-Jährigen, die eine Klasse übersprungen hat, habe ich gefühlt jede Emotion einmal durchlebt. Es war ein ständiges Hin- und Her zwischen Freude, Stolz, Angst und Zweifel. Habe ich das Richtige entschieden? Fordere ich sie zu sehr, überfordere ich sie vielleicht sogar – oder langweile ich sie, wenn ich es nicht tue?

Beim Überspringen hatte ich Angst, sie aus ihrem vertrauten Becken zu nehmen und ins Unbekannte zu setzen. Doch schnell hat sie uns gezeigt, dass es genau das war, was sie gebraucht hatte. Endlich blühte sie auf. In diesem Moment wusste ich: Das war ihr Wasser.

Wenn Erwartungen Kinder erdrücken

Doch es gibt auch die andere Seite: Kinder, die gar nicht „ins Wasser“ dürfen, weil die Erwartungen der Eltern sie in ein Becken drängen, das gar nicht ihres ist. Gerade in Akademikerfamilien erlebe ich oft, dass stillschweigend vorausgesetzt wird, das Kind müsse mindestens die Matura machen. Übermotivierte Eltern schieben ihre Kinder von Kurs zu Kurs, von Förderstunde zu Nachhilfe – und übersehen dabei, dass ihr Kind vielleicht gar nicht schwimmen will, sondern lieber fliegen. Viele Jugendliche fühlen sich dadurch überfordert, ausgebrannt, verlieren die Freude am Lernen und manchmal sogar den Glauben an sich selbst. Nicht jedes Kind ist für dasselbe Becken bestimmt – und auch nicht jedes muss ins gleiche Ziel schwimmen.

Warum Ziele trotzdem wichtig sind

Trotzdem halte ich es für unglaublich wichtig, dass Kinder Ziele und Perspektiven entwickeln. Gerade heute, wo Social Media so vieles vorgibt und gleichzeitig so viel Orientierungslosigkeit schafft, sehe ich zu viele Kinder und Jugendliche, die planlos sind, ohne Hobbys, ohne Leidenschaft. Es ist bequem, Kinder mit Tablet oder Handy ruhigzustellen – aber auf lange Sicht nehmen wir ihnen damit die Chance, ihre eigenen Talente zu entdecken. Genau hier sind wir Eltern gefragt: präsent sein, Interessen fördern, Räume öffnen, Alternativen bieten. Kinder brauchen das Gefühl, dass ihr Leben eine Richtung hat – nicht durch Druck, sondern durch echte Begleitung.

Ein Gedanke zum Schluss

Vielleicht ist dein Kind einfach ein Pinguin. Und das ist etwas Wunderschönes. 
Und vielleicht bist du selbst einer. Vielleicht strampelst du gerade im falschen Element und denkst, du seist nicht gut genug.
Du bist nicht falsch. Du bist nur noch nicht im Wasser.

Bildquelle: Freepik, AI generated